Doro Corts ist einfach nur glücklich. „Wir haben bewiesen, dass wir einen langen Atem haben,“ freut sich die Architektin. Sechs Jahre lang hat sie mit ihren Mitstreitern im Verein „Mitein-anders“ Konzepte erstellt, Pläne gemacht, argumentiert, geworben und gekämpft für das große Mehrgenerationen-Quartier in Refrath.
Bergisch Gladbach - Stell dir vor, du gehst mit einem Vorschlag für ein alternatives Wohnprojekt in einen Ausschuss.
Du möchtest ein Haus für Jung und Alt, für Behinderte und Nichtbehinderte, Familien und Singles bauen. Du hast ein Grundstück, einen Architekten, einen Bauträger, einen Entwurf. Alle sind dafür...
Der Verein mitein-anders will im Grünzug Kippekausen ein Mehrgenerationenhaus bauen. Der Stadtplanungsausschuss begrüßt das Vorhaben und stimmte für die Aufstellung einen entsprechenden Bebauungsplans, der zudem den Bau einer Doppelhaus-Siedlung erlauben würde.
Kölner Stadt-Anzeiger vom 19.05.2016
Bergisch Gladbach - Vor drei Jahren sorgte der Begriff „Mehrgenerationenhaus“ für Aufmerksamkeit. Zwischenzeitig ist es aber wieder ruhiger geworden – zumindest an der Strunde.
Wie wir leben wollen.
Hintergründe und Erfahrungen zu alternativen Wohnformen in der Stadt
Artikel aus dem Handelsblatt vom 27. November 2013
Artikel im Kölner Standtanzeiger vom 10./11. August 2013.
Jungbleiben durch Begegnung
Henning Scherf sprach im Bensberger Ratssaal über sein Wohnprojekt des Mehrgenerationenwohnens. An der Buchmühle soll es so zentral entstehen, dass die künftigen Bewohner die meisten Wege zu Fuß erledigen können. Von Claudia Freytag
Man entkommt ihm nicht. Schon bevor sein Vortrag beginnt, stromert Henning Scherf, ehemaliger SPD-Bürgermeister von Bremen, durch die Stuhlreihen und begrüßt die zahlreichen Gäste. Mal mit Händedruck, aber gern auch mit einer Umarmung. Und nicht alle davon sind alte Schulfreunde; einen davon entdeckt Scherf tatsächlich im Bensberger Ratssaal, wo er an diesem Abend von seiner Wohngemeinschaft spricht. Anlass ist eine Einladung der Initiative „Gemeinschaftliches Wohnen in Bergisch Gladbach“ (siehe blauer Kasten).
Allerdings kann man das, was der studierte Jurist da macht, kaum als Vortrag bezeichnen: Er erzählt, und das tut er gern und lebhaft. Vor 26 Jahren hatten seine Frau, die er stets liebevoll „meine Luise“ nennt, festgestellt, dass die Zweisamkeit nach dem Auszug der drei erwachsenen Kinder ihnen auf Dauer nicht genügte. Also taten sie sich mit Freunden zusammen, und nach einem Jahr und einer deutlichen Verkleinerung des Kreises war das Mehrgenerationenhaus geboren, ein 1829 erbautes Haus in der Bremer Stadtmitte. Sechs ältere und vier jüngere Menschen leben dort zurzeit zusammen, davon neben den Scherfs noch ein weiteres Ehepaar – und ein katholischer Priester. Samstags wird gemeinsam gefrühstückt, „das ist unser Betontermin, sagt meine Luise“. Alles weitere an gemeinsamen Mahlzeiten und Aktionen ist freiwillig. Und doch ist das Projekt mehr als ein Haus, in dem sich unterschiedlich alte Menschen Wohnraum teilen: „Das ist eine Wahlfamilie“, stellt Scherf klar. Das heißt, dass man sich gegenseitig hilft, was auch Pflege bei bislang zwei Todkranken bis zum Ende einschließt. Das heißt aber auch, dass es für diejenigen, die am Wohneigentum nicht beteiligt sind, keine formellen Mietverträge gibt. Das gäbe es bei einer Familie ja auch nicht. Und: Aus der Gruppe heraus ist ein Jüdisch-Christliches Lehrhaus ebenso entstanden wie eine offene Stadtgemeinde.
Also ein schlechtes Beispiel für das Projekt in Bergisch Gladbach? Nein. Denn das, was Scherf am Herzen liegt, ist der Kern jedes Mehrgenerationenwohnens: das Wachbleiben im Alter durch die Begegnung mit jungen Menschen und solchen, die aus einer vermeintlich anderen Welt kommen, mit unterschiedlichem sozialen oder kulturellen Hintergrund. „Das ist kostbar“, sagt Henning Scherf, „das gibt mir ein gutes Gefühl für mein eigenes Alter.“ Das scheint aber, wenn man ihm so zusieht, noch nicht allzu nah zu sein: „Ich bin im 75. Lebensjahr und fühle mich wie 55.“ Und das ist durchaus nachahmenswert für die künftigen Mehrgenerationenhaus-Bewohner in Bergisch Gladbach.
Projekt mit Blick auf den Buchmühlenpark
An der Buchmühle, neben dem dort entstehenden Park, soll das Mehrgenerationenhaus in Bergisch Gladbach gebaut werden – so zentral, dass die künftigen Bewohner die meisten Wege zu Fuß erledigen können. Begründet wurde die Initiative „Gemeinschaftliches Wohnen in Bergisch Gladbach“ von Doro Corts, Elisabeth Springer, Georg Geist und Pfarrer Thomas Werner, die das Projekt im August vorstellten. Allerdings benötigt die Initiative dafür sechs Grundstücke, und nur eins ist in städtischer Hand.
Offen sind sowohl die finanzielle Organisationsform des Projektes als auch Details zur Planung, etwa die Gestaltung von Gemeinschaftsräumen.
Im Februar soll nach jetzigem Zeitplan eine erste Vollversammlung der Interessenten stattfinden. Nicht zu verwechseln ist das geplante Wohnhaus mit dem Mehrgenerationenhaus am Quirlsberg, das kein Wohnhaus, sondern eine Begegnungsstätte ist. (fc)
Das Altenheim aufs Abstellgleis: Das ist das große Ziel, das sich eine Gruppe von engagierten Bergisch Gladbachern vorgenommen hat. „Wir brauchen eine Vielfalt an Formen für das Wohnen im Alter“, sagt Thomas Werner. Von Claus Boelen-Theile
Das Altenheim aufs Abstellgleis: Das ist das große Ziel, das sich eine Gruppe von engagierten Bergisch Gladbachern vorgenommen hat. „Wir brauchen eine Vielfalt an Formen für das Wohnen im Alter“, sagt Thomas Werner, Pfarrer an der evangelischen Gnadenkirche. Unterstützt wird Werner unter anderem von Dorothea Corts und Elisabeth Sprenger, Georg W. Geist und Uta Kallenbach. „Projektgruppe Mehrgenerationenwohnen“ heißt ihr Vorhaben, das in den nächsten Wochen auf eine breitere Basis gestellt werden soll. Ein Vortragsabend am 20. September mit Wohnexpertin und Buchautorin Dorette Deutsch soll als erste Kontaktbörse dienen. „Der demografische Wandel kommt. Das Thema ist gesetzt“, findet Doro Corts. Blicke sie auf andere Großstädte, stelle sie fest, dass sich bislang in Gladbach wenig getan habe. „Als Wohnformen gibt es Single-Haushalte, Familien und Altenheime. Reicht das?“, fragt auch Elisabeth Sprenger.
Alle Altersstufen
Die Projektgruppe denkt an ein übergreifendes Miteinander der Generationen: Junge Leute sollten mit „Mittelalten“ und Älteren zusammenleben. Alle Altersstufen sollten voneinander profitieren. „Wir wollen ein menschliches Miteinander gewährleisten“, kommentiert dazu Pfarrer Werner. Georg W. Geist, vor seiner Pensionierung für den Sozialbereich bei der Gladbacher Stadtverwaltung tätig, denkt etwa an genossenschaftliche Modelle. Durch die Beteiligung weiterer Mitstreiter werde das Bauen günstiger. So hat es Geist selber miterlebt, als er sich mit seiner Familie vor zwei Jahrzehnten in Hand an einem genossenschaftlichen Baumodell beteiligte. Die Genossenschaftler sollten ein Mitspracherecht haben bei den Baukosten, bei der Vergabe der Wohnungen.
Die Zeit des Planens am „grünen Tisch“ mit Bauklötzchen auf Plankarten wollen die Ehrenamtler irgendwann hinter sich lassen. Ein Grundstück, das passen könnte, hat die Gruppe im neuen Buchmühlen-Quartier ausgemacht. Mit Bürgermeister Urbach habe man bereits darüber gesprochen, auch bei drei der Stadtratsfraktionen waren die Wohn-Visionäre schon zu Gast. Unterstützung sei vorhanden, sagt Doro Corts. Ob es mit den Ideen klappe, hänge an den Eigentümern der Flächen. Auf 200 Metern Länge soll an der Buchmühle ein neuer „Wohnriegel“ mit Bezug zum neuen Buchmühlen-Park entstehen. Davon benötige die Gruppe ein bis zwei Einheiten. Es müsse seitens der Eigentümer Unterstützung geben, hoffen die Akteure. „Wir suchen das Gespräch“, sagt Doro Corts,
Vortrag: Dorette Deutsch, Lebensträume kennen kein Alter, Donnerstag, 20. September, 19 Uhr, Gemeindesaal der Gnadenkirche
Eine Bergisch Gladbacher Projektgruppe will ein Mehrgenerationenhaus an der Buchmühle bauen. Dafür suchen die Planer nun Interessenten, denen die Idee gefällt. Am 20. September gibt es einen Vortrag zum Thema. Von Matthias Niewels
„Mehrgenerationenwohnen“ ist eine neue Wortschöpfung und soll ausdrücken, was jahrhundertelang Normalität war: Das gemeinsame Wohnen von mehreren Generationen unter einem Dach. Und so war es ja auch früher. Alt und Jung, von den Großeltern bis zu den Enkeln, lebten zusammen. In den seltensten Fällen war das allerdings eine freiwillige Wohngemeinschaft. Der Familienverbund funktionierte auch als Solidargemeinschaft. „Angesichts der demographischen Entwicklung ist die Rückkehr zum Mehrgenerationenwohnen eine Notwendigkeit“, sagt Doro Corts von der Bergisch Gladbacher Projektgruppe „Gemeinschaftliches Wohnen in Bergisch Gladbach“. Sie und ihre Mitstreiter haben den Plan, neben dem geplanten Buchmühlenpark ein Mehrgenerationenhaus zu bauen. Was die Notwendigkeit der neuen Wohngemeinschaften angeht, ist die Rechnung einfach. Die Gesellschaft vergreist und es wird schlicht unmöglich sein, alle Senioren in Pflegeheime unterzubringen. Pfarrer Thomas Werner von der evangelischen Kirchengemeinde erklärt es so: „Derzeit gibt es Einfamlienhäuser, Mehrfamilienhäuser und Pflegeheime als Wohnformen – das wird für die Zukunft nicht ausreichen.“
Neben den kalten Zahlen der Demographie gibt es noch ein weiteres Argument für das Mehrgenerationenwohnen. „Es ist doch ein Gewinn für alle, wenn Menschen in verschiedenen Lebensphasen zusammenleben“, sagt Elisabeth Sprenger von der Projektgruppe.
Dabei wird das Rad in Bergisch Gladbach nicht neu erfunden. In Köln und Bonn gibt bereits Mehrgenerationenhäuser. Die wurden immer mit Rückenwind durch die Politik und Verwaltung realisiert. Wobei der Rückenwind für dieses Projekt aus der Verwaltung das geringste aller Probleme ist. Corts und Sprenger arbeiten in der Verwaltung, Georg Geist ist ein ehemaliger Verwaltungsmitarbeiter. Geist lebt bereits in einer Siedlung, die von mehreren Generationen gemeinsam geplant und gebaut wurde. „Das ist aber etwas anderes als ein Mehrgenerationenhaus“, sagt er.
Klar ist den Mitgliedern der Projektgruppe, dass ihr Plan nicht gelingen kann, wenn das Haus nicht politisch gewollt ist. Pfarrer Werner: „Bei einem Bieterwettbewerb um Grundstücke haben wir keine Chance.“ Planungsrechtlich, so Sprenger, sei es aber möglich, ein Grundstück auf ein Mehrgenerationenhaus festzulegen.
An solch ein Haus würden dann auch spezielle architektonische Ansprüche gestellt werden. Etwa durch Gemeinschaftsräume. Dann müsste die Lage zentral und urban sein. Denn solch ein Haus müsse mitten im Leben stehen. So jedenfalls die Vorstellung der Projektgruppe. Damit die Idee umgesetzt werden kann, braucht es Menschen, die sich vorstellen können, in solch ein Haus einzuziehen. Dabei ist ein ganzer Katalog von noch offenen Fragen abzuarbeiten. Ganz oben auf der Liste: Wie soll die Finanzierung eines solchen Hauses geregelt werden? So ist das Ziel bekannt, der Weg dahin aber noch nicht.
Am 20. September veranstaltet die Projektgruppe im Gemeindesaal der Gnadenkirche eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Mehrgenerationenhaus. Die Autorin Dorette Deutsch wird einen Vortrag über neue Wohnformen halten. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr, der Eintritt kostet acht Euro.
Matthias Niewels zum an der Buchmühle geplanten Projekt, das mehrere Generationen unter einem Dach vereinen will. Von Matthias Niewels
Die Mitglieder der Projektgruppe „Mehrgenerationenwohnen“ haben alle Argumente auf ihrer Seite. Ja, solche Häuser – nicht nur eines an der Buchmühle – machen Sinn und sind eine Antwort auf die Frage, wie der demografische Wandel gemeistert werden kann. Aber noch ist die Projektgruppe ein kleines Häuflein. Und die nächsten Wochen werden zeigen, ob es überhaupt eine Nachfrage für solch eine Wohnform in Bergisch Gladabch gibt. Gerade bei Jüngeren ist das Zentrum nicht wirklich als „urbane Wohngegend“ bekannt. Wer es wirklich urban haben will, der zieht direkt nach Köln.
Fest steht schon jetzt, dass die Grundstücksgeschäfte schwierig werden. Denn in zentralen Lagen von Bergisch Gladbach – und das Buchmühlengelände wird ein Filetstück im Stadtzentrum – wollen Grundstücksbesitzer und Investoren möglichst viel Geld verdienen. Das klappt am besten mit schicken Eigentumswohnungen unter Ausnutzung jedes nur denkbaren Quadratmeters Bauland.
Zwei spannende Fragen müssen also beantwortet werden: Gibt es in Bergisch Gladbach überhaupt eine Nachfrage für dieses Mehrgenerationenhaus? Und: Wird solch ein Haus planungsrechtlich unterstützt werden?